Aus: Die Carillons von Berlin und Potsdam
Von Jeffrey Bossin


Das zweite Carillon der Parochialkirche in Berlin

         Im März 1715 sandte Weiß zwei Metallproben von Jacobis Glocken an den Gießer Jan Albert de Grave in Amsterdam und bat ihn um Rat, denn "in denen beiden obersten Oktaven ist gantz und gar keine Aequalitaet, so daß die eine [Glocke] als ein Topf, die andere als ein Apotheken Mörser, die dritte als ein Kessel, und dann wiederumb eine ziemlich gut klinget, Summa es klinget keine wie die andere [...] ."[i] De Grave antwortete, daß dieses Metall für den Guß von Spielglocken nichts tauge, und bot ein neues Carillon an, doch zuerst galt es, die Streitigkeiten mit Jacobi zu regeln. Im August 1716 starb Weiß, und im März des darauffolgenden Jahres wurde der Niederländer Arnoldus Carsseboom als Carillonneur an die Parochialkirche verpflichtet, ohne daß es ein brauchbares Instrument im Turm gab.

         Inzwischen waren mindestens 22 Jahre seit dem Beginn des Berliner Glockenprojekts und über zwei Jahre seit der mißglückten Einweihung des ersten Berliner Carillons verstrichen. Friedrich Wilhelm I. riß der Geduldsfaden. Anfang April erhielt das Presbyterium der Parochialkirche einen Brief des Königs, in welchem er unter anderem schrieb: "Vornach Ihr Euch also gehorsamst zu achten, [...] und zwar bey Verlust der von Uns Euch hierunter zugewendeten Gnade zu sehen habt, daß binnen Jahresfrist ein anderes tüchtiges und vollkommenes Glocken-Spiel aus Holland angeschaffet und an der jetzigen Stelle wieder aufgesetzet werde. Seynd Euch mit Gnade gewogen."[ii] Nun erschien Eile als das höchste Gebot, und der Kirchenvorstand wandte sich bereits eine Woche später, am 20. April 1717, an de Grave. Das Schreiben traf dort nicht unerwartet ein; durch verschiedene Kontaktpersonen, zu denen auch seit einigen Monaten Carsseboom gehörte, hatte er seit 1713 den Verlauf des Berliner Projekts verfolgt und zu gegebenen Zeiten verschiedene Angebote gemacht, darunter eines für ein Carillon mit 35 Glocken und einem Gesamtgewicht von 7,3 Tonnen. Der Kirchenvorstand erkundigte sich nach einem ähnlichen Instrument - möglichst mit einem einige Zentner leichteren Glockenchor -, stellte den Abschluß eines Vertrages in Aussicht und fügte hinzu: "Weil uns an der Eile gelegen, es würde nicht undienlich sein, wann E[uer] E[hren] nun sofort den Anfang von Anfertigung dieser Glocken machten, dabey aber zu erinnern, daß auf der fünften oder sechsten von den größten Glocken beiliegende Inscription muß gegossen werden."[iii] Die Glocken sollten per Schiff Berlin erreichen, ehe die Wasserwege zufroren.

         Eine Woche nach Erhalt des Briefes schickte de Grave dem Presbyterium der Parochialkirche seinen Kostenvoranschlag. Trotz der kurzen Zeit und der Tatsache, daß ein Vertrag noch nicht ausgehandelt war, wollte er "fortfahren mit der Arbeit und die größere [Guß]form machen".[iv] Er versprach, die Glocken binnen sechs Monaten zu liefern. Der Vertrag wurde am 16.Juni unterzeichnet, und am 10. August meldete de Grave dem preußischen Kommissar in Amsterdam, "daß alle Glocken schon richtig gegossen und mehrentheils auf ihren Thon gebracht seindt, womit Er in acht Tagen ganz fertig und imstande sein wirdt, Uns dieselben ad Examinandum zu können lieferen."[v]

         De Grave hatte den Auftrag innerhalb des äußerst kurzen Zeitraums von zweieinhalb Monaten erfüllt.[vi] Die am 10. und 11. September in den Niederlanden eingesetzte Prüfungskommission stellte fest, "daß diese Glocken sauber und rein, jede absonderlich in seinen Bourdon, Terzen, Quinten und Oktaven gebracht seyn. Und alle Qualität haben, welche jemals ein gutes Glockenspiel haben kann. Ferner urteilen und sousteniren die Attestanten, daß das avisierte Glockenspiel so gut von Natur sauber und rein von Ton sey, als die Attestanten irgendwo gehöret haben [...]."[vii] Die Glocken wurden dann gewogen, in siebzehn Holzfässer verpackt und gegen einen eventuellen Überfall durch schwedische Seeräuber versichert. Die Regenten von Dänemark, Großbritannien, Mecklenburg und Preußen gewährten Paß- und Zollfreiheit für Schleswig-Holstein, Hannover, Mecklenburg und Brandenburg.[viii] Am 4. Oktober wurde das Carillon in Amsterdam auf das Schiff nach Berlin verladen, wo es Ende Oktober eintraf. Carsseboom nahm sofort die Installation in Angriff, und schon im November erklang das schöne neue Carillon zu allgemeiner Freude und Zufriedenheit. Zwei Jahre später, 1719, gewährte Friedrich Wilhelm I. der Kirche einen jährlichen Zuschuß von zweihundert Talern zur Instandhaltung des kostbaren Instruments.

         Das zweite Carillon der Parochialkirche besaß 37 Glocken aus bester Glockenbronze: Die um 1915 durchgeführte Analyse einer der ais2-Glocke entnommenen Metallprobe ergab eine Zusammensetzung aus 77,8% Kupfer und 21,45% Zinn mit nur 0,75% Verunreinigungen.[ix] Das Instrument war in D-Cornetton[x] und bestand aus den mitteltönig gestimmten Glocken d1-e1-fis1-chromatisch-e4 mit einem Gesamtgewicht von 7,3 Tonnen.[xi] Der Bourdon wog 1,4 Tonnen und war an das c-Pedal des Spieltisches angeschlossen, so daß das Carillon eine große None höher als notiert klang.[xii] Am Hals trugen die meisten Glocken, umrahmt von zwei Zierbändern, die Gießerinschrift ME FECIT JAN ALBERT DE GRAVE AMSTELODAMI ANNO DOMINI 1717. Bei den größeren Glocken zeigte das obere Band das für die Gebrüder Hemony charakteristische Motiv glockenspielender Putten, bei den kleineren eine Blumenborte und das untere Band ein fleur-de-lis ähnliches Muster. Die Aufhängung der Glocken folgte einem symmetrischen Plan, wobei die fünf größten zuunterst in der Mitte der Glockenkammer und die übrigen in Reihen im Nord-, Ost- und Südfenster des Turms hingen. Der Spieltisch mit Tastenstöcken aus Messing und Pedalen aus Eiche stand in einer hölzernen Spielkabine auf dem Boden des Glockengeschosses. Das Carillon der Parochialkirche war mit einer  automatischen Vorrichtung gekoppelt, die über eine große Eisenwalze mit der Turmuhr verbunden war und alle siebeneinhalb Minuten ein Zeitsignal gab. Viertelstündlich erklang eine kurze Melodie, halbstündlich ein kurzer und zur vollen Stunde ein längerer Choral, manchmal mit zwei Strophen, jedoch immer mit Vor- und Nachspiel. Die Musik bestand aus verschiedenen Stücken, aus kleinen Fugen, reich verzierten Psalmen sowie Chorälen mit Zwischensätzen. Die Melodien wechselten vierzehn- bis fünfzehnmal im Jahr: zu Advent, Weihnachten und Neujahr, zur Passionszeit und Karwoche, zu Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten und zum Reformationsfest sowie zu Beginn der Monate Februar, Juli, August, September und Oktober.

                   

Das Glockenspiel der Garnison

         1720 schloß Friedrich Wilhelm I. einen Friedensvertrag mit dem schwedischen König und bekam dafür das seit langem begehrte Territorium Vorpommerns. Die Truppen kehrten nach Hause zurück, und Gelder standen für andere Projekte zur Verfügung. 1713 hatte der König sein Leibbataillon aus Brandenburg nach Potsdam verlegt und nun, nachdem die Truppenstärke in Potsdam aufs Doppelte angewachsen und die Potsdamer Schloßkirche für die Soldaten zu klein geworden war, ordnete er die Errichtung einer neuen Kirche auf der ehemaligen "Kurfürstlichen Freiheit" an. Da auf ausdrücklichen Wunsch des Königs gemeinsame Gottesdienste für die Schloß- und für die Garnisongemeinde in der neuen Kirche stattfinden sollten, erhielt sie den Namen Hof- und Garnisonkirche. 1720 begannen die Arbeiten für einen einfachen Fachwerkbau über rechteckigem Grundriß, dem ein automatisches Glockenspiel von Jan Albert de Grave aus Amsterdam beigegeben wurde.[xiii] Friedrich Wilhelm I. ließ dieses besondere Schmuckstück zusammen mit Kanälen, Brücken und Backsteinhäusern in Erinnerung an seine Jugendreisen in die Niederlande bauen; ab 1737 entstand als architektonisches Zitat sogar das sogenannte Holländische Viertel.

         Zum Potsdamer Instrument gehörten mindestens fünf, eventuell bis zu fünfzehn Glocken aus den Jahren 1717 bis 1719. Wahrscheinlich hatte de Grave sogar alle schon auf Vorrat gegossen, denn in auffälligem Gegensatz zu den Carillons von Jacobi und de Grave für die Parochialkirche, trug keine der De-Grave-Glocken für Potsdam eine Inschrift, die die Stiftung des Instruments durch den König dokumentierte.[xiv] Das Abnahmegutachten vom 28. August 1721 stufte sie als "klar und sauber im Klang", "sehr lieblich", "resonant" und "gut gestimmt" ein.[xv] Sie wurden im Herbst 1721 nach Potsdam gebracht und von Arnoldus Carsseboom in dem eingeschossigen Turmaufsatz auf dem Schnittpunkt des Walmdachs der Garnisonkirche aufgehangen. Die Einweihung des automatischen Glockenspiels und der Kirche fanden am 1. Januar 1722 statt. Das Instrument mit einem Gesamtgewicht von 4,5 Tonnen umfaßte 35 mitteltönig gestimmte Glocken im F-Cornetton mit den Tönen f1-g1-a1-chromatisch-f4. Der Bourdon wog 0,9 Tonnen. Die Glocken trugen die gleichen Ornamente und Gießerinschriften wie die Glocken der Parochialkirche mit den entsprechenden Jahreszahlen.[xvi]

          Die Melodien des neuen Glockenspiels, die jede Viertelstunde zu hören waren, ließen dieses innerhalb weniger Jahre zu einer der beliebtesten Einrichtungen Potsdams werden. Ein von George Belitz unter dem Pseudonym Bellamintes 1727 verfaßtes panegyrisches Gedicht pries unter dem Titel Das Itzt-blühende Potsdam neben den anderen Schönheiten der Stadt auch die Garnisonkirche und ihr Glockenspiel:

         "Jedoch was diesen Thurm am allermeisten zieret,

         Das ist das überall gepries'ne Glocken-Spiel,

         Das, weil allein das Ohr desselben Anmuth spühret,

         Ich denen Augen nicht beschreiben kan noch will.

         So viel versicher' ich: Wenn solches Spiel erklinget

         (Diß aber höret man bey jedem Viertel-Schlag)

         Und nur mit kurzem Schall' in das Gehöre dringet;

         So gehet also bald ein angenehmer Tag

         Den trüben Sinnen auf."[xvii]

 

Das Carillon der Hof- und Garnisonkirche in Potsdam

         Nach einigen Jahren zeigten sich Risse im Mauerwerk der Garnisonkirche, und es drohte der Einsturz. "Seine königliche Majt. in Preußen Unser allergnädigster Herr haben allergnädigst resolviret, daß in Dero Abwesenheit von der hiesigen Potsdamer Garnison Kirche der Thurm soll abgebrochen und das Klocken Spiel heruntergenommen und wohlverwahret werden [...] Potsdam, 14. Juli 1730."[xviii] Am 10.September wurde der letzte Gottesdienst abgehalten, und bis Mitte Oktober war die Kirche abgerissen. Philipp Gerlach bekam den Auftrag zur Errichtung eines neuen, massiveren Baus unweit des alten. Zur Sicherung der Fundamente nahm er unzählige Steine von beträchtlicher Größe und dicke Baumstämme. Friedrich Wilhelm I. legte den Grundstein mit den üblichen Hammerschlägen und fügte - gemäß der Überlieferung - eine Anzahl von Gold- und Silbermedaillen hinzu. Nach einer knapp zweijährigen Bauzeit konnte am 17. August 1732 die Einweihung der neuen Hof- und Garnisonkirche stattfinden. Die Fertigstellung des fast neunzig Meter hohen Turms nahm jedoch noch weitere drei Jahre in Anspruch, wozu 1.130.000 Rathenower Mauersteine, 4.500 Rathenower Simssteine, 2.000 Zentner Gipssteine und 11.000 Pflastersteine benötigt wurden.

         Auf Wunsch des Königs sollte das Potsdamer Glockenspiel zu einem Carillon umgebaut und gleichzeitig erweitert, d.h. größer und schwerer als das Instrument der Parochialkirche werden. Am 27. November 1733 reichte Arnoldus Carsseboom die umfangreichen Spezifikationen ein, dazu gehörte, daß "ein Neu Clavier so mit der Handt gespielet wird mit dem Glocken Stuhl und unterwärts mit einem Pedal [...]."[xix] Carsseboom unterschrieb den Vertrag am 1. Februar des darauffolgenden Jahres und versprach, die Teile des Instruments innerhalb von neun Monaten anfertigen zu lassen, darunter auch das neue Glockengerüst, fünf neue Glocken, alle Klöppel und den Spieltisch für das Handspiel sowie zusätzliche Hämmer und eine neue Spielwalze für die Automatik. Der Carillonneur wies darauf hin, daß die Installation aller Teile zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen würde, denn der König drängte. Carsseboom widersetzte sich und gab in einer Anlage zum Vertrag folgende unzweideutige Erklärung ab: "Der Klockenist aber bleibet dabey, daß er unmöglich eher als in 1€ Jahr fertig werden könne; denn wenn der Thurm völlig fertig wäre, so müßte er noch wenigstens 5 bis 6 Monath arbeiten."[xx] Der König jedoch forderte die Fertigstellung bis zum September 1734 und gewährte trotz alledem einen ersten Aufschub von zwei Monaten. Allein wegen der immer noch andauernden Bauarbeiten am Turm konnte auch dieser Termin nicht eingehalten werden, und die aufwendige Montage des Carillons sollte insgesamt eineinhalb Jahre dauern. Noch 1734 goß Johann Paul Meurer, der Nachfolger Johannes Jacobis als Oberinspektor der Königlichen Hof- und Artilleriegießerei, unter Carssebooms Anleitung fünf große Baßglocken mit einem Gesamtgewicht von 5,9 Tonnen für die Töne c1, d1, e1, fis1 und gis1 sowie die Walze aus Bronze mit einem Durchmesser von 1,85 Metern.

 



[i] Brief von Johann Martin Weiß an Jan Albert de Grave, 30. März 1715, Akte B48 Glockenspiel Correspondence Nr.1.

[ii] Resolution von König Friedrich Wilhelm I., Kopie an das Presbyterium der Parochialkirche, 3. April 1717, Akte B47 Glockenspiel Nr.12. 

[iii] Brief des Presbyteriums der Parochialkirche an Jan Albert de Grave, 20. April 1717, Akte B48 Glockenspiel Correspondence Nr. 2. Zur Inschrift vgl. Tabelle 3, Glocke Nr. 1.

[iv] Brief von Jan Albert de Grave an das Presbyterium der Parochialkirche, 27. April 1717, Akte B48 Glockenspiel Correspondence Nr. 2.

[v] Brief von Johann Adolph von Scherpenseel an das Presbyterium der Parochialkirche, 10. August 1717, Akte B48 Glockenspiel Correspondence ad Nr. 7.

[vi] Wahrscheinlich hatte de Grave einen Teil der Glocken auf Vorrat gegossen. 1714 boten de Grave und sein damaliger Partner Claes Noorden der Stadt Brüssel und 1715 der Berliner Parochialkirche auf Vorrat gegossene Carillons an. Auch die Gießer Pieter Hemony, Melchior de Haze und Andreas Frans van den Gheyn stellten Instrumente auf Vorrat her.

[vii] Gutachten über die Abnahme der Glocken von Cornelius van Dorth, Evert Haverkamp und Jan Jacob de Grave, 19. September 1717. Translatum aus der niederdeutschen Sprache, Akte B48 Glockenspiel Correspondence ad Nr.4.

[viii] Trotz wiederholter Gesuche bestanden die Niederländer auf der Zahlung von Paßgeld, ehe sie die Ladung freigaben.

[ix] Möglicherweise hatte das neue Carillon nur 35 Glocken. Der Carillonneur Eugen Thiele nahm 1915 an, daß alle zu seiner Zeit vorhandenen 37 Glocken 1717 installiert und daß dabei den 35 Glocken von de Grave zwei kleine von Jacobi hinzugefügt worden waren. Vgl. Thiele, Eugen: a.a.O., S. 51.

            Thieles Schluß ist naheliegend. Jacobis Carillon besaß 37 Glocken, und Röders Stockspieltisch war mit der entsprechenden Zahl von Tastenstöcken und Pedalen ausgestattet. Die zwei kleinen Jacobi-Glocken wären dann bei der Installation der 35 Glocken von de Grave an die zwei obersten freigebliebenen Tastenstöcke gekoppelt worden. Es gibt jedoch keine Belege für Thieles These. Die zwei kleinsten Glocken des zweiten Carillons stammten zwar nicht von de Grave, aber es gibt auch keine Inschriften oder sonstigen Hinweise, die sie mit Jacobi in Verbindung bringen oder Auskunft über Ort und Zeit ihrer Entstehung geben könnten. Außerdem wirft Thieles Darstellung eine Reihe ungeklärter Fragen auf: Wenn auch das zweite Carillon der Parochialkirche 37 Glocken umfassen sollte, warum bestellte dann das Presbyterium nur 35 Glocken bei de Grave? Warum hätte Arnoldus Carsseboom zwei kleine Jacobi-Glocken übernommen, da die vier kleinsten, die einzig dafür in Frage gekommen wären, von den Gutachtern des Jacobi-Carillons verworfen worden waren? Warum läßt sich der Guß von zwei zusätzlichen Glocken aufgrund Jacobis Aufstellung nicht belegen?             

            Zu alledem gibt ein 1764 erschienener Bericht die Zahl der Glocken des zweiten Carillons der Parochialkirche mit 35 an. Er stammt von Johann Samuel Halle, der das Carillon zusammen mit dem damaligen Carillonneur Andreas Seidel besichtigte und Auskunft über dessen Entstehungsgeschichte von Seidel erhielt. Halles Schrift Werkstätte der heutigen Künste oder die neue Kunsthistorie enthält detaillierte Angaben über Bau und Mechanik dieses Carillons. Die von ihm angeführte Zahl von 35 Glocken wird durch seine Beschreibung der Stockklaviatur bestätigt: "[...] die Klaves dieses Spielklavirs, die von Messing und fingerlange Cylinder sind (es liegen aber die 13 Halbthöne in einer besonderen Reihe über dem Klavir der ganzen Thöne bald 2, bald drei zusammen, und es sind zu den ganzen Thönen 22 Klaves da) [...]". Demnach hätte der Stockspieltisch insgesamt 35 Tastenstöcke gehabt, 22 sogenannte weiße und 13 sogenannte schwarze. Vgl. Halle, Johann Samuel: a.a.O., in "Parochialglocken", 15. Jhg. Nr. 9, Januar 1939, S. 57.

             Bei einem Besuch auf dem Turm der Parochialkirche verzeichnete 1846 August Schmidt jedoch die Zahl von 37 Glocken. Seine Beschreibung der Tastenstöcke als "Claves [oder] mehr als einen Schuh lange messingene Stäbe" suggeriert, daß der Stockspieltisch sich seit 1764 nicht verändert und Halle sich wahrscheinlich doch geirrt habe. Vgl. Schmidt, August: Musikalische Reise=Momente auf einer Wanderung durch Norddeutschland, Hamburg und Leipzig 1846, S.110. Möglicherweise wurden die zwei kleinsten Glocken des Carillons nicht 1717, sondern bei einer der Generalüberholungen des Instruments 1797 oder 1838 hinzugefügt. Es waren jedoch bisher keine Unterlagen darüber ausfindig zu machen, und alle Quellen außer Halle geben die Glockenzahl mit 37 an.

[x] Cornetton vgl. Glossar.

[xi] Vgl. Tabelle 3.

[xii] Der Spieltisch gehörte zum Typus des niederländischen Kleinklaviers. Der Umfang der Stockklaviatur betrug c-d-e-chromatisch-d3. Der Umfang der Pedalklaviatur läßt sich aus dem vorhandenen Fotomaterial nicht rekonstruieren. Originalnoten der Berliner Carillonneure deuten auf einen Umfang von c-d-e-chromatisch-g1. Da im Gegensatz zu den anderen Stockspieltischtypen der Carillonneur auf dem niederländischen Kleinklavier auch die unterste Oktave mit den Händen spielt, gibt es keine klare Trennung zwischen Manual- und Pedalspiel, die einen eindeutigen Hinweis für den Umfang der Pedalklaviatur geliefert hätte.

            Der Stockspieltisch des Carillons der Parochialkirche besaß eine sogenannte holländische Pedalklaviatur. Im Gegensatz zu den alten flämischen und den heute gebräuchlichen Pedalklaviaturen, deren Pedale am Spieltisch befestigt sind und ihre Drehpunkte vor dem Spieler haben, waren die Pedale der holländischen unter der Sitzbank verankert und hatten ihre Drehpunkte hinter dem Spieler.

[xiii] Die noch vorhandenen Materialien über Glockenspiel und Carillon sind sehr spärlich. 1862 berichtete der damalige Rektor der Hof- und Garnisonschule Robert Ostmann, daß die Akten zum Erwerb des Glockenspiels 1722 bereits eingestampft worden seien.

[xiv] Auch die größte der fünf Glocken, die Friedrich Wilhelm I. für die Vergrößerung des Spiels 1734 in Auftrag gab, trug zumindest seine Initialen.

[xv] Nach Albert Geyer wurde die 1716 demontierte und damals größte Glocke des Berliner Doms mit einem unteren Durchmesser von 2,67 Meter für den Guß verwendet. Vgl. Mielke, Friedrich: Potsdamer Baukunst, Berlin und Pappenheim 1981, S. 31. Dies wäre gewöhnlich, obwohl de Grave bereits 1717 es abgelehnt hatte, Jacobis Glocken für die Herstellung des Berliner Carillons zu benutzen.

[xvi] Vgl. Tabelle 4.

[xvii] Zit.n. Schneider, Louis: Bellamintes, "Das Itzt-blühende Potsdam", in "Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams", [3.Teil] Nr.CXXI, 1867, S.376-411, zit. S. 396.

[xviii] Zit.n. Rogge, Bernhard: Die Königliche Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam - Ein Denkmal vaterländischer Geschichte, Berlin 1882, S. 2.

[xix] Zit.n. Baltin, Hermann: In Sachen des Glockenspiels auf dem hiesigen Garnisonthurme,  in "Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams", [1.Teil] Nr. XVI, 1864, S. 1-8, zit. S. 3.

[xx] Ebenda, zit. S. 5.


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