Martin-Christian Schmidt

Erster Carillonneur an der Französischen Kirche in Berlin

 

von Jeffrey Bossin

 

     So unterschiedlich Ost Berlin und West Berlin waren, eines hatten sie gemeinsam: 1987 erhielt jede der beiden Städte ein großes Carillon, dessen Bau jeweils ein Ost- bzw. ein Westberliner anregte. Während ich das Instrument für das ehemalige Westberlin projektierte, so war der damalige Ostberliner Martin-Christian Schmidt Urheber der Idee, ein Carillon im Kuppelturm der Französischen Kirche zu installieren, das mit 60 Glocken, einem Bourdon von 5,7 Tonnen und einem Gesamtgewicht von 29,5 Tonnen das größte und schwerste der DDR wurde. "Ich hatte bereits als Kind eine starke Beziehung zu Glocken; ich läutete am Dom in Meißen hin und wieder die Glocken oder war beim Läuten dabei. Ich kam zum ersten Mal mit dem Carillon in Berührung, während meiner Ausbildung am Musikinstrumenten-Museum der Karl-Marx-Universität in Leipzig 1968-1972. Ich fand bei meinen Recher­chen einige Tonaufnahmen von Glockenspielen. Diese Tonaufnah­men faszinierten mich sehr."[i]

     Schmidt übersiedelte nach Ostberlin, wo er als Restaurator von historischen Tasteninstrumenten im Kunstgewerbemuseum im Schloß Köpenick tätig war und einen Silbermann-Flügel restau­rierte, worauf einst Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach gespielt hatten. Als er 1976 von dem Beschluß des Ostberliner Magistrats zum Wiederaufbau des Platzes der Akademie erfuhr, schlug er die Installation eines Carillons im Kuppelturm der Fran­zösischen oder Deutschen Kirche als Teil eines neuzuplanenden Mu­sikinstrumentenmuseums vor. 1978 fuhr Schmidt zu Peter und Margarete Schilling nach Apolda, um Rat zu holen. Ein Jahr später nahm er den leitenden Architekten Manfred Prasser mit, um ihn mit den Schillings bekanntzumachen und ihm das in deren Garten gerade zusammengebaute Erfurter Carillon zu zeigen. Die Schillings befürworteten den Einbau eines Carillons in dem nahezu völlig ge­schlossenen Kuppelturm der Französischen Kirche und konnten Prasser für die Idee gewinnen. Nachdem die Frage der Finanzierung geklärt wurde, begann der VEB Apoldaer Glockengießerei 1985 mit dem Guß des von Peter Schilling entworfenen Instruments. Aller-dings konnte die Werkstatt nur vier Glocken fertigstellen, bevor sie 1988 den Betrieb endgültig einstellte. 1986 übernahm ein Kollektiv des VEB Leichtmetallguß in Pößneck die weiteren Gußarbeiten. Die Schillings glätteten die Oberflächen der aus Pößneck gelieferten Rohlinge und führten die Stimmarbeiten aus. Zwei Tage vor dem letz­ten Guß im März 1987 mußte schon mit der Montage der Glocken im Turm begonnen werden, damit die darunterliegenden Räumlich-keiten zum geplanten Einweihungstermin rechtzeitig fertiggestellt werden konnten. Schmidt, der noch im März das Carillon der Niko­laikirche eingeweiht hatte und seitdem als erster Carillonneur Ostberlins mit dessen Bespielung beauftragt worden war, spielte das Carillon im Kuppelturm der Französischen Kirche während dessen Installation für die Monteure ein.

     Doch Schmidt durfte sein zur Wirklichkeit gewordenes In­strument nicht aus der Taufe heben. Stattdessen wurde für die Einweihung am 29. Juli 1987 Frank Müller aus Magdeburg geholt, Schmidt hingegen erhielt nicht einmal eine Einladung zu der Ze­remonie. Müllers Konzert war jedoch nur der kurze Auftritt eines Gastkünstlers, und das Ostberliner Kulturamt übertrug Schmidt die regelmäßige Bespielung des Carillons. Im darauffolgenden September konnte ich ihn an seinem Instrument besuchen. Allerdings ent­schloß sich Schmidt schon Anfang Oktober seine beiden Posten in Ostberlin aufzugeben, um sich ganz dem Bau von historischen Ta­steninstrumenten zu widmen. Das ärgerliche Erlebnis, sich mehrere Male für Konzerte auf dem Carillon der Nikolaikirche vorbereitet zu haben, nur um immer wieder vor geschlossenen Türen stehen zu müßen, erleichterte ihm die Entscheidung. Schmidt reichte seine Kündigung ein und zog nach Rostock um. So endete seine kurze Carillonneurskarriere.[i] Doch seine Verdienste als Initiator des Caril­lons im Kuppelturm der Französischen Kirche und als dessen erster Carillonneur bleiben Berliner Carillongeschichte.  



[i] Brief von Martin-Christian Schmidt an den Autor, 17. April 1989.

[ii]Auf der Suche nach einem neuen Carillonneur erinnerte man sich an den Magdeburger Müller, der sich bereit erklärte, die beiden Ostberliner Instrumente zu spielen. Er nahm seine Tätigkeit 1988 auf und wurde somit der zweite Carillonneur am Kuppelturm der Französischen Kirche. In einem Gespräch am 12. November 1991 teilte mir Herbert Hampe, Direktor des Märkischen Museums, mit, daß Müllers Vertrag am 1. Januar 1988 begann.


© Jeffrey Bossin